Kinder- und Jugendbeteiligung

Diskutierende Kinder im Stuhlkreis
Quelle: SDI Productions / Getty Images

Was ist Kinder- und Jugendbeteiligung? 

Kinder und Jugendliche sind mobil, haben allerdings aufgrund ihrer Lebenssituation ein besonderes Verhältnis zu Mobilität und Räumen. So ist ihre Mobilität fremdbestimmter als die Mobilität von erwachsenen Menschen. Die Größe und Beschaffenheit des Raumes, den Kinder und Jugendliche selbstständig, ohne Begleitung oder Aufsicht von Erwachsenen erkunden können (der sogenannte Aktionsraum), wirkt sich auf die motorische und soziale Entwicklung von Kindern aus. Ihre Perspektive und ihre Anliegen in Fragen der Mobilitätsgestaltung sollen daher angemessenes Gehör finden.

Welche Vorteile bietet Kinder- und Jugendbeteiligung? 

Das Baugesetzbuch (BauGB) sieht vor, dass bei der Aufstellung von Bauleitplänen die sozialen und kulturellen Bedürfnisse junger Menschen zu berücksichtigen sind (§ 1 Abs. 6 Satz 1). Auch Kinder und Jugendliche sollen möglichst frühzeitig über die allgemeinen Ziele und Zwecke der Planung unterrichtet werden und die Möglichkeit erhalten, ihre Meinung zu äußern (§ 3 Abs. 1). Die Qualität von Verwaltungshandlungen kann so deutlich verbessert werden. Der Einbezug von Kindern und Jugendliche in die Planung erhöht außerdem deren Sicherheit. 

Wie erfolgt die konkrete Umsetzung? 

Die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen kann grundsätzlich in vier verschiedenen Modellen erfolgen. 

  1. Anwaltschaftliche Modelle: Die Interessen von Kindern und Jugendlichen werden durch Erwachsene vertreten, beispielsweise durch die Anwesenheit der oder des Kinderbeauftragten in einem Gremium. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sollen die Interessen von Kindern und Jugendlichen in ihren jeweiligen Einflussbereichen (z. B. Dienststellen) vertreten. Ein Beispiel für das anwaltschaftliche Modell ist der Arbeitskreis Kinder-Mobilität-Verkehr in Karlsruhe.
  2. Repräsentative Modelle: Die Interessen von Kindern und Jugendlichen werden durch ausgewählte Kinder und Jugendliche vertreten, beispielsweise im Rahmen eines Kinder- und Jugend-Parlaments. Dieses Modell erfordert von Kindern und Jugendlichen eine angemessene Artikulationsfähigkeit. Dementsprechend beteiligen sich überwiegend ältere Kinder und Jugendliche mit einem höheren Bildungsniveau. Ein Beispiel für das repräsentative Modell ist das Kinderparlament der Stadt Erkrath, in dem Kinder der Jahrgangstufen drei bis sieben zwei Mal im Jahr unter der Leitung des Bürgermeisters tagen. Das Parlament verfügt über einen Arbeitskreis Verkehr, der einmal im Monat tagt. Anträge hat der Arbeitskreis Verkehr beispielsweise zu Radschnellwegen, zur Umwandlung einer Straße in eine Spielstraße und zur Aufstellung von Fahrradständern an Schulen gestellt. 
  3. Offene Modelle: Offene Modelle, zu denen Kinder- und Jugendforen, Stadtteilversammlungen und Sozialraumkonferenzen zählen, zeichnen sich durch eine niedrigere Hemmschwelle bei der Beteiligung aus. Begleitet von einer moderierenden Person legen die Kinder und Jugendlichen ihre Themenfelder selbst fest. Das Ergebnis wird in einem Antrag festgehalten und an Politik und Verwaltung weitergeleitet. Ein Beispiel für das offene Modell sind die 68DEINS!-Stadtteilversammlungen in Mannheim. Im Vorfeld der Versammlungen treffen 68DEINS!-Mitarbeitende Kinder und Jugendliche an Schulen, in Jugendhäusern, in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe und in Vereinen, um ihre Ideen für mehr Lebensqualität in ihrem Stadtteil zu sammeln. Die erarbeiteten Ideen und Forderungen werden auf der Stadtteilversammlung im Gespräch mit den Kindern und Jugendlichen und der Politik diskutiert. 
  4. Projektorientierte Modelle: Kinder und Jugendliche werden direkt in ein konkretes Projekt eingebunden. Ihre Beteiligung ist in allen Phasen des Projekts möglich (Bestandsaufnahme, Problemanalyse, Entwicklung von Lösungsvorschlägen etc.). Sofern sich das Projekt auf das Umfeld der Beteiligten bezieht, können bereits Vorschulkinder an solchen Beteiligungsverfahren teilnehmen. Ein Beispiel für ein projektorientiertes Modell ist der „Fußverkehrscheck im Stuttgarter Süden“. Hierbei haben Schulkinder der dritten Klassen einer Stuttgarter Schule ihre Fußwege auf Probleme und Verbesserungsmöglichkeiten hin untersucht. Die Ergebnisse wurden dem Bezirksbeirat vorgestellt. Wenig später berichteten die beteiligten Ämter den Kindern über den Stand der Umsetzung der Verbesserungsvorschläge. 

Darüber hinaus gibt es weitere Formen der Beteiligung von Kindern und Jugendlichen, z. B. durch Befragungen und Interviews oder Kindersprechstunden. Als Handlungsanleitung für die Verwaltung steht das Verfahren der Kinderverträglichkeitsprüfung zur Verfügung. Das Einbringen ihrer Perspektive und ihrer Anliegen in den politischen Entscheidungsprozess soll zu einer angemessenen Berücksichtigung ihrer altersspezifischen Mobilitätsbedürfnisse, beispielsweise das Vorhandensein eines hochwertigen Aktionsraums, beitragen. Indem sie die Informationsbasis der entscheidenden Personen vergrößert, kann die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen die Qualität der Ergebnisse von Planungen und Umsetzungen kommunaler Vorhaben verbessern und ihre Akzeptanz stärken. Die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen ist in allen Phasen eines Vorhabens denkbar, beispielsweise in der Konzepterstellung und Zielbestimmung, in der Bedarfsermittlung und Prioritätensetzung, in der Maßnahmenentwicklung, in der Maßnahmenumsetzung oder in der Maßnahmen-Evaluierung.

Ein wesentlicher Erfolgsfaktor für das Gelingen eines Beteiligungsprojektes ist die Realitätsnähe. Das erörterte Projekt muss einen unmittelbaren Bezug zur Erlebniswelt der Kinder und Jugendlichen haben und von Belang für sie sein. Zudem muss der Gegenstand genügend konkret sein. In Bezug auf das Beteiligungsverfahren müssen verbindliche Verfahrensregeln gelten, insbesondere für den Umgang mit den Ergebnissen. Die Ergebnisse der Beteiligung und ihre Berücksichtigung bzw. Umsetzung sollten möglichst zeitlich nah beieinander liegen. Das Beteiligungsverfahren muss dem Stand der kindlichen und jugendlichen Entwicklung angepasst werden.

Viele Projekte zur Beteiligung von Kindern und Jugendlichen leben vom Engagement einzelner Personen. Dies führt dazu, dass die personellen und finanziellen Ressourcen oft unzureichend sind. Es ist daher wichtig, Kinder- und Jugendbeteiligung nachhaltig in Mobilitätsentscheidungsprozessen zu verankern und die relevanten Akteure zu vernetzen. Eine zentrale Herausforderung bei der Beteiligung von Kindern und Jugendlichen besteht darin, Kinder und Jugendliche aus allen Bereichen der Bevölkerung zu erreichen. Hierbei ist es wichtig, verschiedene Beteiligungsmöglichkeiten zur Verfügung zu stellen, um den unterschiedlichen Bedürfnissen von Kindern und Jugendlichen gerecht zu werden. Professionsübergreifende Fortbildungen und Selbstevaluierung können zur Verbreitung der Qualitätsstandards für Partizipationsprojekte beitragen. Beim anwaltschaftlichen Modell ist es wichtig, Kinder und Jugendliche nicht zu bevormunden oder in eine passive Rolle zu drängen.

Bundesanstalt für Straßenwesen, 2005: Mobilitätsbedürfnisse von Kindern und Jugendlichen im Straßenverkehrs- und Baurecht. Schlussbericht. Zugriff: https://repository.difu.de/, Suche [abgerufen am 28.11.2022].

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Hellmann, Michaela; Borchers, Andreas, 2002: Familien- und Kinderfreundlichkeit. Prüfverfahren – Beteiligung – Verwaltungshandeln. Ein Praxisbuch für Kommunen. Zugriff: https://www.bmfsfj.de, Service, Publikationen, Suche[abgerufen am 18.12.2023].

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